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04.04.2013

Die Zeitung und die Kaffeetassen

Ein Zeitungskiosk in Belgrad - Aus Serbien ist WAZ-Medien Gruppe schon längst rausgeflogen. / © Nils Bröer

In der Essener Verlagszentrale der Funke-Gruppe (ehem. WAZ-Gruppe) hat man sich etwas Neues ausgedacht, um den grassierenden Relevanzverlust der WAZ-Titel (Westdeutsche Allgemeine Zeitung / WAZ, Westfälische Rundschau / WR, Westfalenpost / WP, Neue Ruhr Zeitung / NRZ) noch ein bisschen zu beschleunigen. Nachdem man Ende März die Hälfte der Fotografen des WAZ-Fotopools rausgeschmissen hat, setzt man nun in Essen auf die Leser. Der Vorgang zeigt vor allen eines: 


Beim WAZ-Schlachtfest des Qualitätsjournalismus führen Köche das Messer, die eigentlich von Sahnetorten träumen.


Eine App namens "Scoopshot" soll den dezimierten Titeln ab sofort dabei helfen, die "Lebenwirklichkeit in der Region noch besser abzubilden". Das Vorhaben ist billig und traurig zugleich und es markiert einen weiteren Nullpunkt der Versuche des Verlages, doch noch irgendwie mit der digitalen Welt Schritt zu halten. Die Rhetorik, mit der man versucht, alten Wein in neuen Schläuchen an die Leser zu bringen, verfängt nicht, schlimmer noch: Das Handeln des Verlages setzt die Existenz journalistischer Inhalte aufs Spiel.

Niemand sei "näher dran als der Bürger" verkündete Oliver Multhaup, selbst ehemaliger Pressefotograf und seit 2009 Geschäftsführer der WAZ New Media in Essen, Anfang April auf der derwesten.de. Unter dem Titel "Zeigen Sie uns mit Scoopshot die nervigsten Schlaglöcher"  gab der ehemalige Leiter der Bildredaktion von BILD NRW die Marschrichtung vor, mithilfe derer die WAZ versucht, ihre desolate Personalpolitik der letzten Monate zu kaschieren. Die Idee ist alt und simpel:  Leser sollen Bilder per Smartphone aufnehmen und an die Redaktion liefern. Abgedruckte Fotos werden mit 20 Euro honoriert. Eine gute Sache will man meinen - für beide Seiten. 

Wenn alles nach Plan läuft, dann haben die Redaktionen der WAZ bald Zugriff auf einen unerschöpflichen Bildvorrat: Der umgekippte LKW auf der Autobahn; das lustige Häschen, das sich auf der Osterwiese tummelt; der Kanzlerkandidat beim Abendessen in der Stadthalle, doch leider stinkt der Fisch vom Kopfe. 

Weil man gemerkt hat, dass man ohne Fotografen plötzliche keine Bilder mehr bekommt, sollen nun die Leser in die Bresche springen, Amateure werden so zu Produzenten bildjournalistischer Relevanz - mit allen Risiken und Nebenwirkungen. 

Während man in Essen noch verzweifelt nach dem Rettungsanker sucht, ist das Schiff längst leckgeschlagen.

Programmatisch geht der Verzicht professioneller Bildberichterstattung über in einen eklatanten visuellen Sensationalismus. Mit einer Für-WAZ-Vorort-Hobbyfotografie verjubeln die WAZ-Titel ihren Anspruch bildjournalistischer Sorgfaltspflicht und befeuern den Weg in die eigene Bedeutungslosigkeit. Waren bislang noch Zeitungsfotografen in der Region unterwegs, um das Tagesgeschehen zu dokumentieren, werden sie nun zunehmend von Amateuren verdrängt. Angesichts einer zunehmenden Überalterung des Leserstamms der WAZ-Titel werden in naher Zukunft Enkel und Urenkel mit ihren iPhones das tägliche Bildangebot für ihre Großeltern liefern.

Man mag das alles für nebensächlich halten und befinden, der Text sei interessanter, Bilder wären egal, man sehe ja eh' nicht so genau hin. Die Praxis zeigt indes: Solche Positionen sind Unfug, denn die Zeiten, in denen die Redakteure zusammen mit ihren Bildreportern durch's Städtchen zogen - immer auf der Jagd nach guten Geschichten - sind vorbei. Wer jemals in einer Lokalredaktion gearbeitet hat, kennt den Druck der Produktion. In der Regel bleibt es an den Fotografen hängen, Geschichten jenseits von Terminjournalismus und dem obligatorischen Griff zum Telefonhörer zu recherchieren, denn ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich Tag für Tag, Abend für Abend in der Stadt, in der sie arbeiten, zu bewegen, um mit Leuten zu sprechen, während die Textkollegen ihre Arbeit zunehmend vom Schreibtisch aus erledigen müssen. Man kann über den Taubenzüchter lachen, der einen zweistöckigen Schlag in seinem winzigen Garten errichtet, man kann auch über den Schrotthändler lachen, der über eine ganz passable Kollektion antiker Fahrzeuge in der Garage verfügt oder über die Familie, die mit einer Ziege an der Leine Gassi geht. Man kann diesen Leuten aber auch zuhören und eine gute Lokalgeschichte daraus machen. Für jedes Beispiel gilt: Solche Geschichten erfährt man nie, wenn man am Schreibtisch sitzt und Pressemitteilungen umformuliert und man erfährt sie schon gar nicht, wenn man auf knipsende Leser setzt. Solche Geschichten sind die Essenz der Lokalberichterstattung. Neben all den Ratssitzungen, Kaninchenzüchtern, Autohauseröffnungen und Kinderfesten geben sie den Lesern einen Grund, überhaupt erst die Zeitung aufzuschlagen; nämlich um dann etwas zu erfahren, das sie eben noch nicht kannten - und sei die Stadt auch noch so klein.

Wer glaubt, auf solche Geschichten verzichten zu können, der sollte so ehrlich sein und sein Blatt als kostenlosen Anzeigenträger unter die Leute bringen. Mit der Westfälischen Rundschau ist die Funke-Gruppe jedenfalls auf dem besten Weg. Von der Erfindung der Zeitung ohne Redaktion war die Rede, als man Anfang des Jahres beschloss, der gesamten Belegschaft zu kündigen und die Lokalteile von der früheren Konkurrenz bestücken zu lassen. Als WR-Chefredakteur Malte Hinz in der Phase der Redaktionsabwicklung seinen Kollegen im Lokalen dann auch untersagte, über ihr eigenes Ende zu berichten litt das Vertrauen der Leser ganz gewaltig. Es hagelte Kündigungen und auf Facebook überschlugen sich Leser in gegenseitiger Hilfe, um möglichst schnell aus dem WR-Abo rauszukommen. Am Ende blieb branchenübergreifend nicht als Spott, Häme und Verachtung für das neue Funke-Konzept übrig. Zum krönenden Abschluss deklassierte sich Hinz eindrucksvoll bei seinem bis zu Lächerlichkeit entstellten Auftritt im NDR-Magazin Zapp. Nebulös fabulierte er dort von gerechtfertigter Zensur, um Arbeitsplätze zu sichern und vom spannenden Projekt einer neuen Zeitung, die eine Chance verdiene - das alles zu einer Zeit, in der 120 seiner Kollegen auf die Straße gesetzt wurden. Hinz selbst war übrigens im Zuge des ersten Kahlschlags bei der WAZ 2009 vom Betriebsrat zum Chefredakteur avanciert. Blattintern gibt es viele, die meinen, bei seiner Beförderung sei das Personalkarussell nicht in der optimalen Balance gewesen. 

Lokale Zeitungen brauchen keine Fotografen, sie brauchen Fotoreporter

Man wird niemals gute Geschichten finden, wenn man morgens in der Bildredaktion die Scoopshot-Uploads vom Abend durchsieht und die Hoffnung auf pressefotografische Scoops wird sich aller Voraussicht nach in ständig wiederkehrenden Bildern von Verkehrsunfällen, Sonnenuntergängen und Haustieren erschöpfen. Entlang der Devise Ist das Bild erst ruiniert - lebt sich's gänzlich ungeniert wird Dienst nach Vorschrift gemacht bis - ja bis - dann doch mal etwas passiert. Weil man den Fotografen gefeuert hat, trifft die Situation die Redaktion völlig unvorbereitet. Irgendein Texter wird mit dem iPhone oder der Redaktionskamera schon irgendetwas zustande bringen ... vielleicht. Ansonsten hat man ja noch Scoopshot. 

Der Mord auf dem Parklatz ist kein schöner Termin. Ebenso unangenehm: Der umgekippte Viehtransporter. Denn Schweine, die auf der Autobahn notgeschlachtet werden, schreien in der Regel. Der Neonazi-Aufmarsch ist lustig anzusehen aus der Distanz, aber es kann unangenehm werden, wenn man näher rangeht. Plötzlich ist man mittendrin und leider ist der Kollege, der die Nerven in solchen Situationen behält und gute Bilder liefert ja letztens gefeuert worden: Willkommen in der Welt der Leserreporter.

Am Ende steht dann irgendein visuelles Stereotyp, schlecht komponiert, unscharf, verwackelt, belanglos. Der Bildinhalt fügt der Geschichte zwar nichts hinzu, aber man muss ja 3-spaltig aufmachen. Zum Glück war wenigstens Kollege X für den Text an Ort und Stelle, konnte sich aber schlecht konzentrieren, weil er auch noch Fotos machen musste. 

Auf der Suche nach dem verlorenen Sinn: WAZ 2.0

Zum Auftakt von Scoopshot hat man nach den schönsten Kaffeetassen der Leser gesucht. Das ist zu dumm, um lustig zu sein und zu blöd, um Leser zu binden: Herzlich willkommen in der Welt von WAZ 2.0. 
Ein Leser aus Düsseldorf hat seine tolle rote Bürotasse geknipst. "Ich war's nicht" steht darauf zu lesen. Immerhin, der geistreiche Kommentar "Die perfekte Tasse gegen den Chef" wird der WAZ New Media wohl den Zwanziger wert gewesen sein, ebenso vielleicht wie das Bild eines Steingutbechers mit Katzenmotiv - "Katze geht immer?" - spätestens hier sollte klar geworden sein: Am Fotodesk sitzen ein paar ganz lustige Gesellen. Angesichts des Versprechens "Lassen Sie sich überraschen, welche Herausforderungen wir uns für Sie in den nächsten Wochen ausdenken" kann einem Angst und Bange werden. 

Doch Trotz aller Häme scheint man in Essen ernsthafte Absichten mit Scoopshot zu verfolgen. Man ist ja schließlich immer noch Zeitung und Zeitung hat  gefälligst kritisch zu sein. Also bittet man die knipsenden Leser alsbald darum, auf die Fotopirsch zu gehen und ein paar eindrucksvolle Schlaglöcher zu dokumentieren. Eingedenk des langen Winters sollte das keine allzu komplizierte Aufgabe werden. Anschließend will man die Kommunen"mit den Straßenschäden konfrontieren" - verrückte neue Medienwelt.
Wäre die Idee nicht so abgedroschen und der Verdacht billigen Kampagnenjournalismus nicht so virulent, man könnte meinen, es handele sich um einen verspäteten Aprilscherz. 

WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus hat die Freistellung der Hälfte seiner Fotografen auch damit begründet,  "Freiraum für neue Produkte zu schaffen".  Man kann nur hoffen, dass er dabei nicht an Scoopshot gedacht hat. 

5 Kommentare:

  1. Einer der besten Kommentare zur 'WAZ-Strategie'! Toll!

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  2. Ich schließe mich voll und ganz meinem "Vorredner" an.

    Wer man am Ende eines Tages Nichts produziert hat, hat auch Nichts zu verkaufen.
    Wenn an Ende die Kunden die Arbeit machen (müssen), wird's obskur. Man stelle sich das mal im Einzelhandel vor - oder beim Friseur....

    Ein Betroffener

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  3. Fragt sich, ob das zukünftige Sonderheft der Zeit 'Zeit Fotografie' damit irgendwie (mit Sicherheit jedoch diskursanalytisch) in Verbindung zu bringen ist: der gemeine Leser fragt, der Fotopapst antwortet: „F. C. Gundlach ist eine Legende in der Fotobranche. Wir sind sehr glücklich, ihn für ZEIT FOTOGRAFIE gewonnen zu haben - und unseren Lesern die Möglichkeit geben zu können, von seinem reichen Erfahrungsschatz als Fotograf, Sammler, Galerist, Kurator und Stifter zu profitieren.” Fotografie soll anscheinschend zum neuen kreativen Leithobby avancieren. Auf ein munteres Knipsen - c.n.

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  4. Vielen Dank für die netten Kommentare! Die Clickzahlen auf dem Blog sprechen eine deutliche Sprache und ich bin froh, dass sich auch ein paar Betroffene bei mir gemeldet haben. Die neue Strategie der Funke-Gruppe entpuppt sich nach und nach als rein profitorientiert. Damit lässt sich jedoch kein Journalismus mehr machen.

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  5. danke für den klugen beitrag!

    eine betroffene

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