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From Ust with love



Der Flughafen der kasachischen Bergwerksstadt Ust Kamenogorsk ähnelt dann doch eher einem Flugfeld und der Kapitän macht zunächst auch keine Anstalten zu bremsen, nachdem er die kleine Embraer 190 auf dem Boden aufgesetzt hat.

So rast die Maschine über eine kilometerlange holprige Piste im Stil der alten Transitautobahn nach Berlin West und rollt irgendwann langsam aus.

Draußen ist dann erstmal wenig zu sehen: Am nördlichen Horizont kann man die Gipfel des Altaigebirges erahnen, dahinter ist Russland, zweihundert Kilometer weiter östlich beginnt China:

Herzlich willkommen in einer Art Dreiländereck irgendwo in der kasachischen Steppe.



Wir sind für ein deutsches Wirtschaftsmagazin unterwegs, um über die Rohstoffkooperation zwischen Deutschland und Kasachstan zu recherchieren. Vor dem Fall des eisernen Vorhangs war Ust ein Zentrum des sowjetischen Bergbaus und der Metallurgie. Im Boden der Region lagern große Vorkommen seltener Erden, außerdem Titan, Magnesium und Uran, solche Sachen.

Seit der Unabhängigkeit der Republik Kasachstan 1991 haben sich ausländische Investoren hier sehr stark engagiert und die Region Ostkasachstan zu  einem wirtschaftlich und strategisch wichtigen Faktor der Politik des kasachischen Präsidenten Nusultan Nazarbaev gemacht.



In Ust wird viel produziert, getrennt, geschmolzen und gekocht, sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke. Deshalb haben wir uns um die Unterstützung der kasachischen Regierung bei der Recherche bemüht, nicht unbedingt üblich, aber unerlässlich, um nicht vor verschlossenen Türen zu stehen.

Für Fotojournalisten gilt das Motto "it's all about access" noch stärker als für Texter. Wir wollen eine Wirtschaftsreportage machen: Rauchende Fabrikschlote, schmelzendes Uran, eine Bergbauregion im Wandel, das ist unser Thema.



Es gibt auch andere Geschichten, die über Ust erzählt werden, darin geht es um Umweltverschmutzung, gesunkene Geburts- und hohe Krebsraten. In Ust liegen die Extreme zwischen wirtschaftlicher Prosperität und extremer Umweltbelastung eng beieinander. Man ist an einschlägiger Stelle daran interessiert, dieses Verhältnis nicht in die falsche Richtung kippen zu lassen.




Ein paar junge Polizistinnen in wadenlangen Militärmänteln und immensen Pelzkrägen stehen neben der zugigen Landepiste Spalier, um uns in Empfang zu nehmen. Anstatt des Transitshuttles kommt ein kleiner Gepäckwagen.

Nach und nach wanken die Passagiere heraus auf das Rollfeld. Wir sind in Almaty 800 Kilometer weiter südlich bei 22 Grad gestartet, hier sind es jetzt nur noch 6 Grad.

Seit "La Dolce Vita" habe ich eine Schwäche für Rollfelder, auf denen man einfach so herumlaufen kann, doch als ich kurz stehenbleibe, um auf den Text-Kollegen zu warten, wird mir leider klar, dass sich zwischen Italien 1962 und Kasachstan 2013 dann doch etwas geändert hat.

Ich verstehe nicht ganz genau, was mir die freundlichen Pelzkrägen zurufen, beschließe aber schnell, dass dies nicht der geeignete Ort ist, um meinen Idealvorstellungen einer Zeit nachzuhängen, in der das Verhältnis von Reportern und Flughafenpolizistinnen noch durch Gesten wechselseitiger Freundschaftsbekundungen in einer naiven Balance gehalten wurde. Hier ist meine Kamera keine Garantie für ein Lächeln, sondern die Eintrittskarte für den Besuch auf der Wache.

Während die Flughafenlogistik unsere Koffer draußen peinlich akkurat auf das kleine Wägelchen schichtet, suchen wir drinnen schonmal die Gepäckbänder - vergeblich.

Dafür legt der Gepäckwagen eine  halbe Stunde später die 30 Meter vom Flugzeug bis zum Aufenthaltsraum zurück und kippt uns die Koffer direkt vor die Füße, anschließend: Handkontrolle der Gepäckscheine.

Während der Recherche hat man uns zwei Helfer des Außenministeriums (Abteilung Protokoll) zur Seite gestellt.


Eine junge Kasachin hat das Kommando. Sie wirkt ein bisschen zu griesgrämig und ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass sie am kasachischen Frühlingsfeiertag zwei deutsche Journalisten vom Flughafen abholen muss oder ob Typen wie wir im System ihrer Sympathie schlichtweg einfach keine Rolle spielen. Ihr Kollege ist ein 23-Jähriger Nachwuchsbeamter. Schmal, jung und überaus höflich spricht er perfektes britisches Englisch. Soweit so gut.

Sie warten vor dem Flughafen auf uns und eine Kostprobe kasachischer Hackordnung wird sogleich an Ort und Stelle definiert:

Der Texter bekommt den Handschlag - der Fotograf wird ignoriert.

Obwohl mich Kollege Florian Willershausen vorstellt, wird mir nur der mitleidige "Auf-dich-haben-wir-gerade-noch-gewartet-du-Idiot-Blick" des weiblichen Teils unserer Aufpasser zuteil. Mir ist das auch ganz recht, zumal ich den Reportageglamour der 60er ja schon auf dem Rollfeld hinter mir gelassen habe.

Im Van mit getönten Scheiben jagen wir zum Hotel. Die Warterei auf das Gepäckwägelchen war nicht einkalkuliert (soso..) und wir hängen dem Zeitplan schon eine Stunde hinterher. Während ich darüber nachgrübele, wie man als Einheimischer wohl kasachische Planungspraxis bzw. deren Unmöglichkeit der Durchführung in Einklang zu bringen gedenkt, zieht die Vorstadt von Ust an mir vorbei.

Entgegen meiner fotografischen Erwartung mangelt es hier eindeutig an 12-stöckiger Plattenbebauung! Stattdessen sehe ich 5-stöckige Chruschtschewskas. Meine Freunde in Almaty hatten mir ein "Shithole" angekündigt, allein ich kann das nicht recht erkennen. Eigentlich sieht die Stadt ganz passabel aus.

Passabel ist auch das Hotel, in das wir einquartiert werden. Der Architekt muss eine Mischung Jagdhütte, kleinstädtischer Commerzbank, Ritterburg und Hauptbahnhof deliriert haben.

Fünf Minuten Zeit, um das Gepäck ins Zimmer zu werfen, dann haben wir den ersten Termin im städtischen Museum - Aufwärmübung zum Erproben freundlicher, aber bestimmter Höflichkeit angesichts eines eher touristischen denn journalistischen Terminplans für die nächsten Tage; Auftaktveranstaltung der wohlkomponierten Selbstdarstellung des Systems.

Der deutsche Fotoreporter soll gefälligst bezahlen, wenn er die ethnografischen Fundstücke der Frühzeit im Heimatmuseum ablichten will, sagt die resolute Dame am Empfang und sorgt dafür, dass mir das unzweifelhafte Vergnügen verwehrt bleibt,  handgearbeitete Replikate, Urkunden, Scherben, Steine usw. zu fotografieren.


Kollege Willershausen gibt mir eine Stunde Freiraum und entlässt mich auf die Straße. Endlich!

Doch die Freude währt nur kurz, ein böser Blick unserer Aufpasserin und ich habe einen Schatten an der Seite. Der 23-Jährige will mitkommen, "damit mir nichts passiert".

Er will mir irgendetwas erzählen und stolpert in meine Bildkader hinein. Er läuft drei Meter vor mir her und hört nicht auf zu reden. Wenn ich Passanten fotografiere, dann nimmt er vorher Blickkontakt mit ihnen auf, um dafür zu sorgen, dass sie sich auch ganz ganz sicher beobachtet fühlen. Ich komme mir vor wie ein Idiot mit Blaulicht auf dem Kopf. Ein ausländischer Fotograf und ein kleiner Mann mit Anzug - die perfekte Basis, um Unauffällig zu arbeiten. Der Reflex ständiger Überwachung sitzt tief in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion und auch in Kasachstan hat man dessen Abbau nach der Unabhängigkeit nicht gerade zugearbeitet.




Irgendwann reißt mir die Hutschnur (ganz genau) und ich muss deutlicher werden. Meinetwegen soll er irgendwo rumlaufen, aber wehe ich sehe ihn noch einmal im Bildkader. Ich verzichte auch gerne auf irgendwelche Erklärungen der Art "Das ist eine junge Familie, die in einem Park spazieren geht." Mir ist es auch ziemlich egal, ob er glaubt, dass die Hinterhöfe, durch die ich ihn jetzt schleppe, nicht seiner  Idee des modernen Kasachstans entsprechen (der Abstand wir immerhin größer, denn der Boden ist matschig und er trägt Slipper). Wenn ich noch einmal höre oder sehe, dass er auch nur irgendwem auch nur irgendetwas sagt, dann knallt's!

Unser Verhältnis hat sich auf dem Rückweg sichtlich abgekühlt und ich fürchte, dass mir das noch zum Nachteil gereichen könnte. Ich gebe mir wirklich Mühe, zu retten was zu retten ist! Mein Impulsreferat zum Thema "Fotojournalismus und Medien und Kasachstan" enthält deshalb fundierte kultursoziologische Standpunkte. Nachdem ich den Jungen mit Luhmanns "Realität der Massenmedien" und dem "Strukturwandel der Öffentlichkeit" von Habermas bekannt gemacht habe, erzähle ich fromm und frei, dass auch meine Vorfahren in Bergwerken gearbeitet hätten, weshalb ich mich stets mit solchen Leuten verbunden fühlte. Schlussendlich gestehe ich ihm, dass ich auch noch sehr gerne die kasachische Sprache lernen würde, um ihn und sein Land wirklich zu verstehen. Siehe da, der Himmel klart sich auf: "Thank you so much for your interest in our culture" - Fall erledigt.




Über den weiteren Verlauf unserer Recherche hat  Florian Willershausen in seinem Blog geschrieben.

Die Arbeit artet in Stress aus. Unser Besuch in der technologischen Universität zu Ust Kamenogorsk wird von einem Kameramann und einem Fotografen dokumentiert. Feierlich wird uns ein Präsentpaket nebst T-Shirt und Basecap überreicht, die Website inform.kz macht einen Artikel über uns und der Gouverneur von Ostkasachstan verehrt uns einen aufwändigen Naturbildband.

Das ist alles sehr nett, aber wir kommen mit der Recherche nicht voran.



Ich stehe jeden Tag um 5.00 Uhr auf, bin um 6.00 Uhr auf der Straße, um liefern zu können, denn bislang habe ich außer einer modernen Fahrzeugfabrik noch keine einzige Eisen-Stahl-Titan-Uran-Was-Auch-Immer-Produktion von innen gesehen.

Dass es auch dabei bleiben wird, dass weiß ich zu diesem Zeitpunkt zum Glück noch nicht. Man versucht stattdessen, uns mit PR-Bildern abzuspeisen und hat reagiert gekränkt, als wir fuchsteufelswild ablehnen.




Am letzten Tag, drei Stunden vor meinem Rückflug, gewährt uns ein Metall- und Magnesiumwerk dann schließlich Zutritt.

Meine Hoffnung, doch noch ein passendes Aufmacherbild zu bekommen, wächst, als wir durch die Lobby der Fabrik geleitet werden. Hier sieht es aus wie im Konferenzsaal von S.P.E.C.T.R.E.

Die Nüchternheit der Eingangshalle überzeugt im Stil sowjetischer Innenarchitektur der 70er Jahre, dahinter erstreckt sich eine pfeilförmige graue Wand aus Drehkreuzen und Wachpersonal dem Besucher entgegen: Foto? - Hoffnungslos -  hier wird nicht nur für zivile Zwecke produziert.

Meine Erwartungen schwinden zusehends. Nach einem Pressegespräch mit der Finanzdirektorin, die ebenfalls aus Sicherheitsgründen (obwohl ich hier eher auf Eitelkeit tippe) ein Bild verweigert, ist klar:
Das wird nichts mehr mit den Bildern aus der Fabrik. Wir versuchen vehement, die Verantwortlichen umzustimmen, aber nach 2-3 Minuten müssen dann plötzlich alle ganz dringend zu einem Gespräch.

Nachdem ich versprechen muss, unter gar keinen Umständen das Innere des Fabrikgeländes zu fotografieren, darf ich es wenigstens von außen versuchen. Währenddessen begibt sich der Textkollege auf einen geführten Rundgang, von dem es später heißen wird, dass er dort alles zu Gesicht bekommen hat, das sich zu Fotografieren gelohnt hätte.  Hätte - Hätte - Fahradkette.

Ich stehe in einer blauen wattierten Werksjacke mit einem dämlichen Helm auf dem Kopf vor der Tor. Es schneit, die Sicht beträgt 10 Meter, neben mir mein Schatten - 15 Minuten Zeit, um vor einer streng bewachten Fabrik doch noch irgendetwas zustande zu bringen. Den Helm hatte ich eigentlich gegen den Schnee mitgenommen, dann aber festgestellt, dass die Werksjacke mit einer komfortablen Kapuze ausgestattet war.

Die Mauern sind hoch, die Gegend ist trist und die Brachfläche vor dem Areal ist in friedliches verschneites Weiß gehüllt. Die Schornsteine sind nicht in Betrieb. Kein Qualm, keine Fabrik, keine Spur von arbeitenden Titanwerkern. Mein Schatten hat jetzt zwei Helme in der Hand.

Es muss schnell gehen und der Arme hat Mühe hinterher zu kommen. Der faselt etwas von Kälte und Schnupfen und seinen neuen Schuhen und überhaupt. Als ich ein Ensemble mit derangierten Toilettenhäsuschen sehe und sie in einer Verzweiflungstat in den Vordergrund rücke, zweifelt Freund Schatten an meiner journalistischen Integrität, denn er will nicht verstehen, was die zerstörten Klos mit der Titanfabrik zu tun haben sollen.



"If you don't want me to shoot something like a shithole, don't make me feel like being in a shithole"

Unsachlichkeit hat einen Namen.

Dann ist der Spass vorbei. Mein Flug geht um 15.00 Uhr, wir rasen zum Flughafen, mein Begleiter wartet bis ich eingecheckt habe, wir verabreden uns zum Abschied auf ein Bier unter besseren Vorzeichen.



© Nils Bröer 2013 / All rights reserved. Copying, printing, publishing, downloading is strictly prohibited and will be legally prosecuted.

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